Das Hochstapler Syndrom ist ein psychologische Phänomen. Es ist nicht als eigenständige Erkrankung klassifiziert und tritt häufig in Leistungs- und Arbeitskontexten auf.¹
Ständige, massive Selbstzweifel und damit verbundene negative Selbstwahrnehmung können im sogenannten Imposter-Syndrom münden.²
Persönliche Erfolge und gute Leistungen werden in diesem Fall häufig mit Glück, Zufall oder mit der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten³ durch andere erklärt.
Imposter bedeutet Betrüger*in oder Hochstapler*in und ist ein eingedeutschter Anglizismus (die korrekte Schreibweise ist eigentlich impostor). Als solche gelten typischerweise Personen, die vorgeben, mehr zu sein oder zu können, als in der Realität der Fall ist.⁴
Das Gegenteil ist der Fall bei Menschen, die sich im Bereich des Imposter-Syndroms bewegen: Sie denken, wesentlich weniger zu sein, oder zu können. Und dies trotz harter Fakten (wie Abschüsse oder ein richtig gutes Feedback), die nachprüfbar ihre Erfolge und Kompetenzen belegen.⁵
Drei klassische Attribute des Imposter-Syndroms⁶
- Eine tiefe Überzeugung vom Mangel der eigenen Fähigkeiten.
- Die konstante Angst, als Mogelpackung enttarnt zu werden
- Die beinahe ausschließliche Zuordnung von Erfolg oder Lob auf externe Faktoren (Glück, Zufall, Irrtum).
Das Imposter-Phänomen wurde erstmals 1978 von den klinischen Psychologinnen Dr. Pauline Clance und Dr. Suzanne Imes in einer Stichprobe von 150 Frauen beschrieben.⁷ In „The Impostor Phenomenon in High-Achieving Women: Dynamics and Therapeutic Intervention“ zogen sie folgende Quintessenz: Trotz ihrer schulischen Abschlüsse, Erfolge und Leistungen bei standardisierten Tests, Lob und beruflicher Anerkennung, konnten die Frauen kein Gefühl des Erfolgs in sich festmachen und führten ihn eher auf Zufall oder Glück zurück.
Massive Selbstzweifel sind logischerweise nicht nur bei high-achieving women aus den 1970ern nachzuweisen. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien, dass alle Geschlechter und diverse Berufs- und Gesellschaftsgruppen von dem Hochstapler-Phänomen betroffen sind. Sie gehen nur gegebenenfalls unterschiedlich damit um. Zudem scheint der jeweilige Erziehungs-, Bildungs- und Leistungskontext eine Rolle bei der Ausprägung zu spielen.
Das Imposter-Syndrom ist ein psychologisches Phänomen, aber keine eigenständige Diagnose. Deswegen spricht die jüngere Forschung und Literatur inzwischen auch lieber von Selbstkonzept statt Syndrom. Fest steht, dass eine Art dysfunktionale Selbsteinschätzung (Ich bin nichts wert / Ich kann nichts) vorliegt, die vor allem konstante und massive Selbstzweifel begünstigt. In Kombination mit einem Nicht-Annehmen-Können von Erfolgen werden die eigenen Fähigkeiten und Leistungen nicht der eigenen Kompetenz zugeordnet.⁸ Lob und positives Feedback werden eher als Irrtum empfunden („Das kann doch gar nicht sein“). Das baut im Extremfall harten Druck auf. Und kann in psychologischen Erkrankungen münden.
Du kennst es vielleicht auch. Du hast ein Projekt erfolgreich beendet oder irgendetwas anderes Gutes fertiggestellt, vielleicht sogar feines Feedback bekommen und die innere Antwort lautet trotzdem: Da hab ich ja nochmal Glück gehabt! Wir alle zweifeln bisweilen an uns selbst. An dem, was wir können. An dem, was wir sind. Wenn die Zweifel (trotz widersprechender hard facts) regelmäßig auftreten, ist es allerdings an der Zeit, genauer hinzuschauen.⁹
Einige Studien lassen augenscheinlich Rückschlüsse darauf zu, dass es bei Frauen häufiger zum Imposter-Syndrom kommt. Wir sind der Meinung, dass wir in Frage stellen sollten, ob das Hochstapler-Phänomen der einzige Grund ist, warum Frauen ihren Leistungen und Kompetenzen augenscheinlich häufiger misstrauen. So wird der Fokus nur auf die Lösung individueller Probleme gelenkt. Anstatt nach systemischen Ursachen (Hallo, Gender Bias!) für eine häufigere, geringere Selbstwertschätzung bei Frauen in beispielsweise Arbeitskontexten zu suchen.¹¹
Die jüngere Forschung verweist darauf, dass vor allem BPoC (Stichwort Intersektionalismus) und andere marginalisierte Gruppen (beispielsweise mit schwachem Bildungshintergrund) das Imposter-Syndrom stärker ausgeprägt empfinden. Hier ist es die wiederholte Konfrontation mit systemischem Rassismus und Vorurteilen, die das Auftreten des Hochstapler-Gefühls begünstigen.¹²
Extrem negatives Selbstkonzept als Hinweis auf Burnout oder Depression
Das ständige Fürchten vor dem Aufliegen der subjektiv (!) empfundenen Unfähigkeit kann Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden (wie Kopf- oder Bauchschmerzen) und Dauerstress (Arbeiten bis zur absoluten Erschöpfung) auslösen.¹³ Ein extrem unterdefinierter Selbstwert kann zudem auf ein Burnout oder Depression hinweisen.
Trauigerweise sehen Patient*innen solche Diagnosen zunächst häufig als Bestätigung für ihre Eingangsannahme: Im Grunde kann und bin ich nichts¹⁴ (eine sehr ungesunde Variante des Confirmation Bias). Denn eigentlich sind Burnout und Depression oft eine Folge von destruktiven Glaubenssätzen auf Repeat und mangelndem Selbstwert. Und nicht der Beweis dafür, dass unsere Selbstwahrnehmung zutreffend ist.
Wenn du gegen das Imposter-Syndrom angehen willst, kannst du dir verschiedene Methoden aneignen, die dabei helfen können. Die gute Nachricht lautet übrigens: Was du wahrnimmst, kannst du ändern.¹⁵ Denn dein Gehirn besitzt die erstaunliche Fähigkeit, Glaubens- und Gedankenschleifen aufzubrechen und neu zu strukturieren. Hier kommen unsere vier Tipps, wie du das Ganze angehen könntest.
Zum Einstieg darf es ruhig ein bisschen amüsant für dich werden. Wenn du dich in deiner Selbstwahrnehmung das nächste mal in einer Negativspirale befindest, gib dem Gefühl ruhig laut einen Namen. Nehmen wir hier mal: Klaus. Steh auf, bewege dich ein bisschen und sprich das Gefühl laut mit Namen an.
Das könnte folgendermaßen klingen:
Okay, Klaus. Hier machen wir mal ganz kurz einen Stopp. Und schauen uns an, was eigentlich Sache ist. Bevor du mir wieder die ganze Zeit laut ins Ohr meckerst, was für ein*e Loser*in ich bin.
Schreib dir eine kleine Liste mit den Fakten auf, die gegen das Gefühl des Hochstapelns sprechen. Bitte hier deine Abschlüsse, persönlichen und beruflichen Erfolge nicht vergessen! Was mögen deine Freunde an dir? Was schätzen dein*e Kolleg*innen? Versuche, für jeden subjektiv wahrgenommenen Mangel ein positives Gegengewicht zu finden. So bist du schon auf einem guten Weg zur kognitiven Restrukturierung.
Fragen zum Weiterdenken:¹⁸
Es liegt in deiner Hand, andere von deinen Fähigkeiten und Kenntnissen zu überzeugen. Dafür musst du dich nur trauen, darüber zu sprechen. Internalisiere persönliche Milestones (ob kleine oder groß), indem du darüber sprichst und dich selbst zur Abwechslung mal so richtig abfeierst (your brain will love it!). Wenn es um uns selbst geht, fokussieren wir uns nämlich häufig auf unsere Misserfolge und Fehler. Vergleichen wir uns wiederum mit anderen, ziehen wir häufig deren “beste” Version (mit sichtbaren Erfolgen oder Hinweisen auf Glück) heran.
Frage dich bei extrem selbstkritischen Gedanken: Ist dieser Gedanke hilfreich? Löst er die Situation oder das Problem, in der ich mich gerade befinde, oder mit dem ich mich herumschlage?
Du kannst auch beginnen, deine Glaubenssätze neu zu formulieren.
Das geht in Etappen: Ich bin nicht gut genug – Ich war heute gut genug – Ich war in letzter Zeit ziemlich gut – Ich bin eigentlich mehr gut als schlecht – Ich bin vollkommen in Ordnung.
Oder in Umkehr:
Ich habe nur Erfolg, weil ich hart gearbeitet habe – Ich habe hart für diesen Erfolg gearbeitet.
¹ https://de.wikipedia.org/wiki/Hochstapler-Syndrom
³ https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/arbeiten/hochstapler-syndrom
⁴ https://asana.com/de/resources/impostor-syndrome
⁷ https://lexikon.stangl.eu/13517/impostor-syndrom
⁹ https://www.impulse.de/management/selbstmanagement-erfolg/hochstapler-syndrom/7363743.html
¹⁰ https://www.ardaudiothek.de/episode/achtsam/imposter-syndrome-wenn-du-erfolge-nicht-anerkennen-kannst/deutschlandfunk-nova/93347748/; https://asana.com/de/resources/impostor-syndrome
¹³ https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/arbeiten/hochstapler-syndrom