Frauen in Führungspositionen sind in Deutschland weiterhin unterrepräsentiert. Gründe dafür sind Gender Care Gap, Teilzeitfalle, starre Arbeitsmodelle, weniger Zugang zu Kapital, Thomas-Kreislauf und überholte Rollenbilder.¹ Bereits 2017 stellte eine Studie von Initiative Chefsache in Aussicht, dass das BIP bis 2025 um 422 Milliarden Euro (+12%) gegenüber den Basisprognosen steigen könnte, wenn Frauen tatsächlich gleichberechtigt am Erwerbsleben teilnähmen.²
Je höher die Position im Unternehmen, desto weniger Frauen sind vertreten. Angehende Unternehmerinnen und Gründerinnen haben weniger Zugang zu Kapital als ihre männlichen Counterparts. Kinder sorgen in erster Linie bei ihren Müttern, nicht bei ihren Vätern, für Brüche im Erwerbsverlauf.
Wenn es in den deutschen börsennotierten Unternehmen in demselben Tempo weitergeht wie jetzt, dann dauert es noch bis 2051, bis es genau so viele Vorständinnen wie Vorstände gibt.³ Bis das Wunschszenario 50:50 auch bei allen Unternehmen aus Mittelstand und familiengeführten Betrieben ankommt, könnte es noch wesentlich länger dauern: etwa 120 Jahre.⁴
Eine Studie (2020) der Allbright Stiftung⁵ zeigt: Anders als viele internationalen Wettbewerber setzen börsennotierte Unternehmen in Deutschland weiterhin lieber auf Thomas, Michael und Stefan in ihren Führungsspitzen. Der Frauenanteil in den Vorständen der DAX-Konzerne sinkt im Vergleich zum Vorjahr um 1,9% auf den auf den Stand von 2017 bei 12,8%.
Frauen stellen nur rund 28% der Führenden im mittleren und höheren Management. Und das, obwohl die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Deutschland seit der Jahrtausendwende um 15% auf insgesamt 72,8% gestiegen ist (Männer: um 8% auf 80,5%).⁶ Der Anteil von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit einer Frau an der Spitze liegt aktuell bei 16,8%, fast 3% unter dem Höchststand von 2013.⁷ Ein Grund dafür ist auch der erschwerte Kapitalzugang von weiblichen Gründern und Unternehmern. Nur jedes zehnte junge Unternehmen in Deutschland wird von rein weiblichen Teams aufgebaut, die Führung von lediglich 20% ist gemischt.⁸ Parität in deutschen Gründungsteams wird – gemessen am status quo – erst im Jahr 2139 erreicht.⁹
Wer sich fragt, wann endlich mehr Frauen in der Wirtschaft in die Führung kommen, der stößt schnell auf Gender Care Gap, Teilzeitfalle, Rollenbilder und Diskussionen über Quoten.
Frauen, vor allem Mütter, arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit und Niedriglohnsektoren. Sie pausieren für die Kinderbetreuung auch deutlich länger im Arbeitsleben als Männer. Die aktuelle Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Job betrifft 6 Millionen Frauen in Deutschland: So arbeiteten 2019 zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren in Teilzeit (66,2%). Bei Vätern in derselben Situation waren es zuletzt nur 6,4%.¹⁰ Aktuell können Frauen im Alter von 50 bis unter 65 Jahren durchschnittlich rund 15 Jahre weniger Berufserfahrung in Vollzeittätigkeit als Männer vorweisen, wenn sie Kinder haben. Ohne Nachwuchs beträgt die Differenz dagegen nur knapp drei Jahre.
Selbst wenn Frauen voll erwerbstätig und maximal qualifiziert in den Wettbewerb um Führungsposten einsteigen wollen, treffen sie auf Hindernisse. Zu Faktoren, die Frauen vom Zugang zu Führungspositionen abhalten, zählt vor allem eine männerdominierte Kultur in Unternehmen, die sich auch in Beförderungen oder in unflexiblen Arbeitszeitmodellen spiegeln können. Auch für Gründerinnen wirkt sich der similar-to-me-effect negativ aus. Vor allem in den Finanzierungsrunden.¹¹
Die Faustregel lautet: Je diverser, desto erfolgreicher. Seit den 1980ern gibt es entsprechende Studien, insbesondere aus den USA. In 2020 legt McKinsey die Studie „Diversity wins – How Inclusion matters“ vor. Das Ergebnis: Unternehmen mit hoher Genderdiversität innerhalb der Führungsebene haben eine um 25% und damit signifikant größere Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich profitabel zu sein. Betrachtet man den Faktor der ethnischen Diversität (Internationalität des Top-Managements), so liegt dieser Wert sogar aktuell bei 36%.¹²
Für Business Angels und Venture Capital Firmen lohnt sich die Investition in Gründungsteams mit Frauen. Während ein von Gründern geführtes Start-up in Deutschland im Schnitt 10,6 Millionen Euro einsammeln kann, erhalten Gründerinnen laut einer BCG-Studie mit durchschnittlich 3,5 Millionen Euro nur knapp ein Drittel. Und das, obwohl Studien zeigen, dass Frauen mehr aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Kapital machen. So generierten Gründerinnen in den USA aus jedem eingesammelten Dollar 78 Cent Umsatz – mehr als doppelt so viel wie Gründer mit 31 Cent.¹³
Auch unternehmerische Entscheidungen laufen wesentlich besser, wenn ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern am Tisch sitzt. Insbesondere vermeidet man dadurch, dass sich eine homogene Gruppe auf altbewährte Lösungen mit wenig Innovationskraft verständigt, oder Intransparenz herrscht und Entscheidungen schlicht nicht hinterfragt werden. Homogene Führungsteams haben es schwerer, die richtigen Antworten auf disruptive Veränderungen zu finden. Weil sie eben nur EINEN als für richtig befundenen Blickwinkel auf die Herausforderung zur Auswahl haben.¹⁴
Weibliche Führung in der Pandemie
Eine Studie der Universität Liverpool hat gezeigt, dass Staaten mit Regierungschefinnen besser durch die Corona-Krise gekommen sind als Länder mit männlichen Staatsoberhäuptern. Die weiblich geführten Staaten (19 von untersuchten 194) gingen zu Beginn der Pandemie früher in den Lockdown und verhinderten so höhere Todeszahlen.¹⁵
Geschlechterparität in den Führungsetagen hat auch positiven Einfluss auf die Wahrnehmung und Zuschreibung von weiblichen und männlichen Führungseigenschaften, wie in den plakativen Aussagen: Männer sind machthungrig, Frauen führen ausgleichend.¹⁶ Stand der Forschung ist allerdings, dass Führungseigenschaften nicht Frage des Geschlechts, sondern der Persönlichkeit sind. Wären mehr Frauen in exponierten Positionen als Vorbilder sichtbar, dann wäre es ganz normal, dass auch Frauen mehr durchgreifend wirken etc.. Für den Abbau von Rollenbildern/Stereotypen kann die Quote ein wichtiges Werkzeug auf dem Weg dorthin sein.¹⁷
Auf Unternehmensebene kann die Quote ein wirksamer Hebel sein, um Gläserne Decke und Thomas-Kreislauf aufzubrechen. Seit 2016 gilt für börsennotierte, mitbestimmungspflichtige Großunternehmen eine 30-prozentige Geschlechterquote für Aufsichtsräte, die gesetzlich festgehalten ist (FüPoG I 2015).
Der gewünschte Effekt fiel kleiner aus als erhofft. Die Strahlkraft in die Vorstandsetagen blieb gering. Das zeigt auch der Women-on-Board-Index 2021 von FidAR: Zwar erreichten die unter die Quote fallenden 106 Unternehmen bereits 2017 einen Frauenanteil in Aufsichtsräten von 30%. Ein großer Teil, nämlich 75 der untersuchten 186 Unternehmen plante trotz frauenfreier Chefetage auch für 2021 mit Zielgröße Null für den Vorstand.¹⁸
2021 wird FüPoG II beschlossen
Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen müssen künftig mindestens eine Frau in den Vorstand berufen, wenn ihr Vorstand aus mehr als drei Personen besteht (Mindestbeteiligungsgebot). Von dieser Regelung sind aktuell 66 Unternehmen betroffen sein, 24 davon haben aktuell keine Frau im Vorstand.¹⁹
Bislang ist noch kein wissenschaftlicher Beleg dafür erbracht worden, dass Männer durch Frauenquoten benachteiligt werden. Auch das gängige Argument, dass nicht genügend weiblicher Nachwuchs für Führungsposten vorhanden wären, greift viel zu kurz. Die BCG Gender Diversity Studie Deutschland 2020 hält dazu fest: Für die Top Jobs sind genügend Frauen vorhanden – auf der ersten und zweiten Ebene unter dem Vorstand ist die Frauenquote doppelt so hoch wie im Vorstand. Die „Talent Pipeline“ ist somit gut gefüllt.²⁰
In den Vergleichsländern der eingangs schon erwähnten Allbright Studie, wie beispielsweise USA, Schweden, Frankreich und Polen wurden übrigens auch während der Pandemie kontinuierlich diversere Führungsteams aufgebaut. Die übrigens statistisch belegt erfolgreicher operieren.
Quoten allein, flexible Arbeitszeitmodelle und Vielfalt als unternehmerische Strategie reichen allerdings auf dem Weg zu mehr Frauen in die Führung nicht aus. Damit Führungspositionen und eigene Unternehmensgründung den Frauen in der Wirtschaft auch wirklich chancengerecht offenstehen, braucht es paritätische Elternzeitmodelle, verbesserte Infrastrukturen der Kinderbetreuung und die Abschaffung steuerlicher Fehlanreize wie das Ehegattensplitting.
Eine Individualbesteuerung würde laut des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht nur zu erheblichen Steuermehreinnahmen führen (circa 27 Milliarden). Auch die Erwerbsbeteiligung von verheirateten Frauen würde sich erhöhen (2,4%).²¹ Wenn es in einem Land schon lange eine auf Gleichstellung ausgerechnete Familienpolitik gibt, braucht man im Gegenzug auch keine Quote. Das zeigt das Beispiel Schweden. Hier wurde beispielsweise 1970 das Ehegattensplitting („Hausfrauen-Abzug“) durch eine Individualbesteuerung ersetzt, die Ehepartner als zwei autonome, ökonomische Einheiten betrachtet.²² Auch das Elterngeld gibt es in Schweden seit 30 Jahren, in Deutschland immerhin seit 2007.
Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, Familien- und Gesundheitspolitik können nicht mehr getrennt betrachtet werden. Eine wesentliche Lehre der Corona-Pandemie ist die extrem hohe Bedeutung der externen Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Langfristig sollte die Politik mehr Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung der bezahlten Erwerbs- und unbezahlten Sorgearbeit setzen, zum Beispiel durch eine Reform des Ehegattensplittings, höhere Tariflöhne für Berufe in Bildung, Pflege und sozialer Arbeit, bessere Unterstützung von Familien-Modellen jenseits der Institution Ehe.
Historisch betrachtet ist die Rücknahme der Frau für das Wohl der Familie eine Selbstverständlichkeit. Die Organisationsmodelle einer modernen, auf Gleichberechtigung ausgelegten Gesellschaft, sollten andere Lösungsansätze bieten. Eine kritische Öffentlichkeit, die Chancengleichheit und Vielfalt in der Führung von den Unternehmen einfordert, kann diesen Prozess beschleunigen.
Im nushu Podcast Folge 20 mit Dr. Fabiola Gerpott hörst du noch mal, warum Netzwerken eine ganz feine Sache auf dem Weg zu mehr Frauen in der Führung ist. Mehr zum Thema Netzwerken Lernen findest du hier.
¹ https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49400/fuehrungspositionen
² https://initiative-chefsache.de/content/uploads/2017/05/Flexibles-Arbeiten-in-Fu%CC%88hrungspositionen-Ein-Handlungsleitfaden-fu%CC%88r-Chefetagen.pdf
³ https://web-assets.bcg.com/df/e5/4512f33f4801acb0dd2757c9c95c/gender-diversity-studie-key-insights.pdf
⁴ https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/podcast-mal-angenommen-mehr-frauen-in-fuehrung-101.html
⁵ https://www.allbright-stiftung.de/allbright-berichte
⁶ https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/KfW-Research/Frauen.html
⁷ https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/KfW-Research/Frauen.html
⁸ https://femalefoundersmonitor.de/female-founders-monitor-2020/
⁹ https://www.bcg.com/de-de/press/09September2019_PM_Diversity_Startups_DE
¹⁰ https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/03/PD21_N017_13.html
11 https://www.bcg.com/de-de/press/09September2019_PM_Diversity_Startups_DE
¹² https://www.mckinsey.de/news/presse/2020-05-19-diversity-wins
¹³ https://www.bcg.com/de-de/press/09September2019_PM_Diversity_Startups_DE
¹⁴ https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/publikationen/studie/frauen-in-fuehrungspositionen-erfolgreiche-unternehmensfuehrung-im-mittelstand/erfolgsfaktor-chancengleiche-unternehmensfuehrung-wie-unternehmen-von-mehr-frauen-in-fuehrungspositionen-profitieren/
¹⁵ https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3617953
¹⁶ https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49400/fuehrungspositionen
¹⁷ https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/KfW-Research/Frauen.html
¹⁸ https://www.fidar.de/webmedia/documents/wob-index-185/2021-05/210115_Studie_WoB-Index_185_V_alt.pdf
¹⁹ https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-und-arbeitswelt/quote-privatwitschaft/quote-fuer-mehr-frauen-in-fuehrungspositionen-privatwirtschaft-78562
²⁰ https://web-assets.bcg.com/df/e5/4512f33f4801acb0dd2757c9c95c/gender-diversity-studie-key-insights.pdf
²¹ https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ehegattensplitting-macht-erwerbsarbeit-fuer-frauen-unattraktiv-10347.htm
²² https://library.fes.de/pdf-files/id/09342.pdf